Aufgabe der Gewerkschaften
Die deutschen Gewerkschaften sind heute die stärkste Kraft in der Vertretung der Arbeitnehmer-interessen. Im Rahmen der Tarifpartnerschaft haben sie den Auftrag, Rahmenbedingungen für den Verkauf von Arbeitskraft auszuhandeln. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen hatten aber immer auch Auswirkungen auf Entscheidungen, die nur mittelbar mit der Höhe von Erwerbseinkommen in Verbindung stehen. Zum einen setzten die Kompromisse, zu denen die Forderungen der Gewerkschaften und die Angebote der Arbeitgeberverbände führten, mittelbar auch Signale dafür, wie hoch Ersatzeinkommen wie Sozial- und Arbeitslosenhilfe ausfallen. Zum anderen hat die Höhe der Lohnforderungen auch einen Beitrag dazu geliefert, den Einsatz von Maschinen, die Nutzung von Technologie attraktiv zu machen. Damit wurde deutlich, daß Arbeit kein Selbstzweck ist, sondern zu allererst der Erzeugung von Werten dient. Wo Maschinen dazu besser geeignet sind, sollten sie also auch genutzt werden. Stabile Arbeitsbedingungen als Resultat gelungener Kompromisse der Tarifpartner waren in der Vergangenheit der Entwicklung der Wertschöpfung förderlich und haben ihren Teil zum Wohlstand in Deutschland beigetragen.
Erfolge tarifpartnerlicher Kompromisse
Ein Resultat dieser erfolgreichen Verhandlungen war es, die Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer durch gute Rahmenbedingungen zu fördern. Innovativität wurden erstrebt und anerkannt, die stete Nutzung von Technologie zur Automatisierung war eine Konsequenz dieser Arbeitspolitik. Diese Nutzung war und ist also Ausdruck eines tarifpartnerlichen Erfolgs. Solange diese Kompromisse nicht Arbeitslosigkeit zum Resultat hatten, waren die Automatisierungseffekte erwünscht. Schließlich haben sie auch eine Befreiung – nicht nur von stumpfsinniger – Arbeit ermöglicht. Seit den 70er Jahren nun stellt sich dieser Erfolg für die politische Gemeinschaft und die Tarifpartner anders dar. Was einst erwünscht und erstrebt war, deswegen als Erfolg tarifpartnerlicher Vereinbarungen wahrgenommen wurde, wird heute als Problem, als Versagen ausgelegt obwohl unser Wohlstand in dieser Zeit nicht gesunken ist, sondern zugenommen hat.
Zur Umdeutung der Erfolge in Versagen
Die Rückgewinnung von Lebenszeit, die durch Automatisierung möglich geworden ist, wird überwiegend als ein Verlust an Selbstverwirklichungsmöglichkeiten, als Verlust sozialer Begegnungen, gar als Ausschluß aus der Gemeinschaft betrachtet. Manche halten es sogar für unmoralisch, daß Arbeitslosenzahlen und Unternehmensgewinne im gleichen Atemzug steigen in Empörungen über Entlassungen hat sich dies immer wieder ausgedrückt.
Bis heute sehen die Gewerkschaften wie auch die Arbeitgeberverbände ihre Aufgabe darin, nicht nur die Verkaufsbedingungen der Arbeitskraft zu regeln und das Entstehen neuer Arbeitsplätze zu befördern. Sie kämpfen noch immer dafür, Arbeitsplätze zu erhalten, die automatisiert werden könnten. Und dies geschieht in dem Selbstverständnis, daß ein Leben ohne Arbeit letztlich ein unwürdiges Leben sei. Angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt aber ist diese Auffassung zwiespältig. Zwar ist Arbeitslosigkeit heute in der Tat stigmatisierend. Verschärft wird diese Wirkung der Arbeitslosigkeit noch durch die Arbeitsmarktpolitik der vergangenen Jahre die mehr denn je auf den Einsatz von Sanktionsmaßnahmen und Kontrollen setzt. Es ist dem einzelnen Arbeitsamtsmitarbeiter zu verdanken, wenn diese Drangsalierung nicht in dem Maße erfolgt, wie sie möglich geworden ist. Die Gewerkschaften, mit ihrem unbeirrten Festhalten an dieser Arbeitsmarktpolitik, die sei letztlich mittragen, sind für unsere Lage heute ebenso verantwortlich wie andere. Sie übersehen, daß die Automatisierung ein Fortschritt im Sinne der Freiheit ist und ein sinnvolles Leben vielfältige Wege nehmen kann – nicht nur den der Erwerbsarbeit. Aus dieser Haltung heraus, Arbeit und Selbstverwirklichung als unauflösbare Einheit zu denken, wird weitere Automatisierung abgelehnt, sie wird für ein Übel gehalten. Folgerichtig muß auf diese Form der Innovation verzichtet, zumindest muß sie gebremst werden. Dass sie dafür vom sonst eher als gewerkschaftsfeindlich bekannten Ökonomen Unterstützung erhalten, ist befremdlich genug. Wenn wir es nicht schaffen, die Automatisierung aufzuhalten bzw. abzumildern, so die Haltung der Gewerkschaften, versagen wir. Diese Haltung aber hat schon dazu geführt, daß die Gewerkschaften an Glaubwürdigkeit verloren haben und weiter verlieren werden. Sie schaffen sich selbst ab, wenn sie an der alten Strategie festhalten, denn so behindern sie den Fortschritt zur Freiheit, statt ihn im Sinne der Bürger zu befördern.
Konsequenzen eines bedingungslosen Grundeinkommens
Wollen wir nun diesen Fortschritt rückgängig machen, weil er mit unseren Vorstellungen eines um Arbeit herum gebauten Lebens nicht mehr übereinstimmt? Oder wollen wir unsere Vorstellungen aufgeben, es könne kein sinnerfülltes Leben jenseits der Erwerbsarbeit geben? Die Automatisierungschancen befreien uns von Arbeit, die Automaten übernehmen können und ermöglichen uns, Lebenszeit sinnvoller zu nutzen.
Wir plädieren dafür, die Chancen zu ergreifen, um unsere Freiheit zu stärken. Diese Chancen eröffnen uns der technologische Fortschritt und der damit einhergehende Wohlstand. Ein bedingungsloses Grundeinkommen erlaubt jedem Bürger, darüber zu entscheiden, ob er einer Erwerbsarbeit nachgehen oder seine Lebenszeit anders nutzen will, z.B. indem er sich gemeinnützig engagiert. Eine Umverteilung der Arbeit, wie es von mancher Seite vorgeschlagen wird, ist doch nur die Kehrseite einer Arbeitsmarktpolitik, die an der Arbeitsverpflichtung festhält. Arbeit würde wie ein Gut behandelt, an dem alle teilhaben müßten. Wer entscheidet denn darüber, wieviel jeder arbeiten darf, wenn Arbeit verteilt werden soll? Auch hier müßte es wieder eine Verteilungsinstanz geben, d.h. bürokratische Kontrolle. Wir wollen, daß sich die Bürger entscheiden können und nicht zum Arbeiten verpflichtet werden.
Eine mögliche Zukunft der Gewerkschaften
Leistung gedeiht immer nur durch die Hingabe an eine Aufgabe; sie zu lösen bedarf einer Anstrengung. Diese Anstrengung nimmt auf sich, wer sie als Herausforderung betrachtet. Aber kann und muß diese Aufgabe jeder in der Erwerbsarbeit finden? Oder wollen wir es dem Einzelnen überlassen, worin er seine Herausforderung erkennt? Freiwilligkeit war und ist die Basis von Kreativität und Innovation. Nicht Arbeit als solche ist wertvoll, sondern Arbeit, die Probleme löst, deren Lösung im allgemeinen vernünftig ist und deren Lösung wir wollen.
Statt bürokratischer Leistungskontrolle wollen wir eine Leistungskontrolle durch diejenigen, die die Leistung erbringen und sie beurteilen können. Sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern kann an einer bloßen Erhöhung der Arbeitsmenge nicht gelegen sein, wenn damit keine Leistungssteigerung einhergeht. Das „Absitzen“ von Arbeitszeit bzw. die formale Verkürzung durch Umverteilung von Arbeit ist genauso frustrierend und entwürdigend wie die Stigmatisierung durch Kontrolle. Denn Umverteilung heißt auch, es wir vorgeschrieben, wieviel der Einzelne zu arbeiten hat. Wir brauchen deswegen weder eine vorgeschriebene Arbeitszeit noch ein vorgeschriebenes Renteneintrittsalter. Über den Umfang der Arbeitszeit und das Arbeitsalter soll der Einzelne selbst entscheiden – ein bedingungsloses Grundeinkommen in entsprechender Höhe ermöglicht dies.
Wem das bedingungslose Grundeinkommen nicht ausreicht, der muß sich für den auch dann noch bestehenden Arbeitsmarkt qualifizieren. Allerdings werden die Anforderungen an Arbeitskräfte, wie heute schon der Fall, weiter zunehmen, denn Routinetätigkeiten werden fortschreitend durch Maschinenlösungen ersetzt, das ist absehbar. Es gibt keine Garantie für Arbeitsplätze, sie kann es nur in einer Planwirtschaft geben.
Ein bedingungsloses Grundeinkommens fördert Qualifizierung durch die Ermöglichung von Entscheidung und ermutigt zur Innovation. Arbeitnehmer stehen nicht unter Druck, Arbeitsbedingungen zu akzeptieren, die sie nicht für akzeptabel halten. Wer, obwohl er wegen der Absicherung durch ein Grundeinkommen nicht arbeiten muß, einer Erwerbsarbeit nachgeht, wird in der Regel besonders motiviert sein. Unternehmen müssen viel mehr als heute um leistungsbereite Mitarbeiter werben, sie müssen ihnen gute Arbeitsbedingungen bieten, damit ihre Leistungsbereitschaft sich entfaltet. Ein Unternehmen, das Mitarbeiter gegeneinander ausspielt, wird sie bald verlieren.
Für diese Arbeitnehmer, die dann noch einer Erwerbsarbeit nachgehen wollen, könnten die Gewerkschaften unter vollständig anderen Bedingungen kämpfen. Vielleicht bedürfte es auch – das ist nicht auszuschließen – der Gewerkschaften nicht mehr.
Stand 19. März 2006